23.02
2023
Donnerstag
20:00 - 22:00

— KLAVIERKONZERT (IMMERSIVE AUDIO)

For Bunita Marcus - Ralf Schnell

Meine ersten ernsthaften Studien zeitgenössischer Klaviermusik erfolgten zu Beginn meines Klavierstudiums. Die Werke von Schönberg, Berg, Webern, Hespos und anderen waren noch recht neu, und sie zu spielen war eine Qual. Dies keinesfalls wegen der Werke selbst, sondern vielmehr aufgrund der Anweisungen, die gegeben wurden: alles ‚Alte‘ hatte vermieden zu werden. Keine Phrasierung, kein Rubato, keine Emotionen, und vor allem: kein Ton durfte ‚schön‘ klingen!

Diese recht intellektuellen Studien fanden ein abruptes Ende, als ich Darryl Rosenberg kennenlernte und seine Interpretation von ‚For Bunita Marcus‘ im Konzert hören durfte. Darryl kannte John Cage persönlich und war mit den Werken der New Yorker Schule, zu der Cage und Feldman gehörten, äußerst vertraut. Die intensive Schönheit und Musikalität seiner Interpretation fegten alle intellektuellen Restriktionen hinweg und begründeten meine Liebe für zeitgenössische Musik und für die Werke Morton Feldmans.

‚For Bunita Marcus‘, eines seiner Spätwerke, ist in jeder Hinsicht episch. Je nach Flügel, Konzertsaal und Publikum dauert es zwischen 75 und 90 Minuten. Es ist ein kontinuierlicher Strom von Klängen, von Anfang bis Ende ohne Unterbrechungen. Morton Feldman schafft einen Klangraum, der keine Zeit, kein Metrum und keinen Rhythmus zu haben scheint. Dies erreicht Feldman, indem er tatsächlich ungeheuer komplexe Rhythmen schreibt und ein spezifisches Tempo dafür vorgibt, so dass das Publikum aufgrund der Komplexität nicht in der Lage ist, diese Strukturen zu erkennen. Typisch für Feldman ist auch, dass diese Komplexität ebenfalls explizit dazu gedacht ist, jederzeit die volle Aufmerksamkeit der Interpreten zu garantieren.

Feldman gibt nur sehr wenige Spielanweisungen. Mit nur drei Ausnahmen (sehr leise, rechtes Pedal dauerhaft gedrückt, und das Tempo) bleibt alles andere den Interpreten überlassen. Wir wissen aber, dass Feldman ausdrücklich den Gebrauch von Rubato und anderen interpretatorischen Freiheiten guthieß. Er wollte keinesfalls seine Werke auf die wörtliche Wiedergabe des Notentextes reduziert sehen.

Tickets (Saal bestuhlt, Galerie bestuhlt, freie Sitzplatzwahl):
- 40 Euro zzgl. VVK-Gebühr
- 45 Euro an der Abendkasse

Einlass: 19:00 Uhr
Beginn: 20:00 Uhr

Veranstaltungsort:
GROUNDLIFT AMMERSEE LIVE STUDIOS
Alte Brauerei Stegen
Landsberger Straße 57
82266 Inning am Ammersee

Veranstalter: Groundlift Media GmbH, Am Eichet 11a, 86938 Schondorf, TICKETS@GROUNDLIFT.DE, 08192 933345

Die Kapitel

Obwohl die Partitur von ‘For Bunita Marcus’ keine Kapitel oder Abschnitte explizit anzeigt, gibt es doch Momente, in denen die Tonalität und das musikalische Material sich sehr deutlich ändern. Ich habe diese Momente herangezogen, um für mich selbst Kapitel zu definieren, die meine Interpretation des Werks widerspiegeln. Sie werden feststellen, dass ich meiner Interpretation spezifische Bilder oder Szenen zugrunde lege. Die Musik mag für Sie etwas grundlegend anderes bedeuten, und das wäre natürlich nicht weniger ‚richtig‘ als die von mir gewählten Bilder.


The Beginning

Wir brechen auf zu einer epischen Reise. Etwas erregt unsere Aufmerksamkeit – sehr vage nur, aber wir wissen: etwas wird geschehen. Nicht sofort, denn wir empfinden keinerlei Dringlichkeit. Wir wissen auch nicht, ob etwas Gutes oder etwas Schlechtes bevorsteht, nur dass es geschehen wird.

Die erste, eröffnende Phrase ist eine der wenigen, die im Laufe des Werkes immer wieder auftauchen wird. Sie besteht aus nur drei Noten: zunächst einer kleinen None (cis-d), dann ergänzt um die verminderte Dezime (es). Ich empfinde dies als Morton Feldmans Variante einer Moll-Tonart. Diese Phrase wird uns begleiten, und eine subtile Variation mit dramatischer Wirkung wird uns zu gegebener Zeit verraten, welcher Natur die Veränderung ist, die uns bevorsteht.


Church Bells 1

Irgendwo um uns herum fangen Kirchenglocken an zu läuten. Sehr leise zunächst, dann immer lauter, verändern sie ständig ihren Rhythmus, verklingen, beginnen aufs Neue, verklingen wieder. Wir stehen still inmitten dieser Glockenklänge, bis sie schließlich vollständig verklungen sind.


Unrest 1

Der Frieden der vorherigen Szene wird plötzlich gestört. Das Tempo nimmt zu, so als würden wir nun schneller atmen und uns schneller bewegen. Wir sind beunruhigt, wir suchen etwas, wir versuchen etwas zu verstehen, das wir jedoch nie ganz fassen können. Und doch: inmitten dieser Unruhe erscheinen einige wenige Noten, die einen Klang von solcher Schönheit und Wärme formen, dass wir wieder zu unserem inneren Frieden finden.


Church Bells 2

Die Kirchenglocken erklingen erneut und beenden diesen Spuk. Wir hören ihnen erneut zu, still und in Frieden.


The Question

Wir befinden uns in einer ungewissen Stimmung. Die Unruhe, die wir empfanden, wurde durch das Geläut der Kirchenglocken beendet. Und doch: was genau war es, was wir dort erlebten? Das ist Die Frage, und unser Verstand ist gefangen von diesem einen nagenden Gedanken.


Unrest 2

Und dieser nagende Gedanke wirft uns zurück in unsere Unruhe. Wir suchen erneut, fragen erneut, diesmal viel intensiver als zuvor. Mehrere scharfe Dissonanzen klingen, als würden wir vor Schmerz schreien und weinen. Doch auch diesmal kehren diese wunderschönen, warmen Klänge zurück und befreien uns von unserer Unruhe.


What If

Die Rückkehr dieser wunderschönen Akkorde erinnert uns an das Ereignis, das uns bevorsteht: könnte es tatsächlich etwas dermaßen Schönes und Friedvolles sein? Was, wenn wir uns irren, was, wenn diese Schönheit nicht existiert oder unserem Zugriff entzogen bleibt? Es ist zu früh für uns, darauf zu vertrauen. Wir hinterfragen unsere Empfindungen, ein sehr hoher Ton stört immer wieder den ansonsten friedvollen Fluss der Musik.


Remembering

Die erste Phrase des Stückes begegnet uns wieder, diesmal jedoch um eine Oktave erhöht: eine ferne Erinnerung an den Beginn unserer epischen Reise. Wir erinnern uns, aber diese Reise hat uns verändert.


Finding Peace (The Way Home)

Nun endlich beginnen wir zu vertrauen, dass diese intensive Schönheit, die wir erahnen durften, tatsächlich existiert. Die Musik wird nun wärmer, gleichzeitig lebendiger und friedvoller, als erschiene die Sonne über dem Horizont und gäbe uns Licht und Hoffnung.


Daydreaming

Wir sind wie in einem Traum, aber dieser Traum verändert sich ständig und wird immer friedvoller und stiller. Es beginnt mit einem beinahe minimalistischen Abschnitt, dieser wird unterbrochen, um dann erneut zu beginnen. Dann, zum ersten Mal, erkennen wir das, was uns angekündigt wurde, und sehen seine intensive Schönheit. Es existiert, wir sind zwar noch nicht dort angekommen, aber es bestehen nun keine Zweifel mehr. Vier Noten werden in ständig veränderten Rhythmen wiederholt und erzeugen den Akkord, den wir bereits mehrfach kurz hören durften, nun glüht er jedoch in solch stiller Kraft, das Zeit keinerlei Bedeutung mehr für uns hat.


A Glimpse of Eternity

Und während wir träumen, oder vielleicht weil wir träumen, sind wir am Ziel. Die Veränderung, die uns angekündigt wurde, ist bereits eingetreten. Es ist kein Ziel, das es zu erreichen galt; es ist eine Erfahrung, ein Zustand von Licht und Schönheit und Freude, so intensiv und fundamental, dass er ein Teil von uns wird. Als ob Feldman uns zeigen wollte, dass dieses Potential für Schönheit von Anfang an in uns war, erzeugt er diesen Moment aus den gleichen Tönen, aus denen auch die erste Phrase am Beginn unserer Reise bestand, nur dieses Mal transformiert in das, was ich als Morton Feldmans Version einer Dur-Tonart bezeichne: Die kleine None cis-d wird nun zu einer None und erstreckt sich über zwei Oktaven in den tiefen Registern, und der dritte Ton wird zu einer Dezime, die als Oktave in den hohen Registern erklingt; eine subtile aber gleichzeitig fundamentale Transformation.


Home

Wir sind am Ziel. Oder vielmehr: wir haben unseren Körper nie bewegt, aber unser Geist hat sich verändert. Wir sind die gleiche Person wie zuvor, und wir sind es doch nicht: wir haben Frieden gefunden, und zwar in uns selbst.

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